Vernehmungsprotokoll mit dem Gendarmen Karl Brandstetter durch Rayonsinspek-tor Johann Lutschinger

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Titel

Vernehmungsprotokoll mit dem Gendarmen Karl Brandstetter durch Rayonsinspek-tor Johann Lutschinger

Thema

Holocaust
Südostwall
Zwangsarbeit
Engerau

Beschreibung

Der Rayonsinspektor Johann Lutschinger führte im Auftrag der Staatsanwaltschaft Wien im Zuge der Vorermittlungen zum 1. Engerau-Prozess in Engerau, Wolfsthal, Hainburg und Bad Deutsch-Altenburg Zeugenbefragungen durch und fertigte Protokolle davon an.

Urheber

Staatsanwaltschaft Wien / Rayonsinspektor Johann Lutschinger

Quelle

WStLA, LG Wien Vg 2b Vr 564/45, 1. Engerau-Prozess, 1. Band

Datum

1945-07-13

Sprache

Deutsch

Typ

Dokument (Transkript)

Text Item Type Metadata

Text

Protokoll


aufgenommen mit dem Gendarm Karl Brandstetter des Gendarmeriepostens Hainburg a[n] d[er] D[onau], Hainburg, Hauptplatz 13 wohnhaft, gibt dem Ausforschungsbeamten Revierinspektor Lutschinger folgendes an:

Im März 1945 gehörte ich als Hauptwachtmeister [...] der Wasserschutzpolizeistation Engerau an. Am 29. März 1945 (Gründonnerstag) übersiedelte ich mit meinen Möbeln von Engerau, Mozartgasse 20, nach Hainburg, Kriemhildengasse 15, zu Verwandten meiner Frau, da der Einmarsch der Russen ja nur mehr eine Frage von wenigen Tagen war. Ich blieb die Nacht vom Gründonnerstag auf Karfreitag (29. bis 30. März 1945) in Hainburg. Ich hörte, da die Wohnung ziemlich weit abseits der Hauptstraße liegt, weder Schüsse noch irgendwelche Hilferufe. Am 30. März 1945 musste ich um 8:00 Uhr meinen Dienst in Engerau im Geschäftszimmer der Wasserschutzpolizeistation Engerau antreten. Als ich um ca. 6:30 Uhr zum Bahnhof kam, wurde bekannt gegeben, dass der Zug aus Wien in Richtung Engerau unbestimmte Zeit Verspätung habe. Ich begab mich nun zum Hauptplatz, da ich wusste, dass das Milchauto täglich um 7 Uhr von Hainburg nach Engerau fährt. Am Hauptplatz traf ich den Hilfszollassistenten Johann Steller aus Hainburg, welcher ebenfalls in Engerau seinen Dienst versah. Als wir uns begrüßten, kam das Fuhrwerk des Czernahorsky aus der Richtung Deutsch Altenburg. Die Ladung war sehr niedrig und mit einer Plache zugedeckt, das Fuhrwerk wurde von [...] Franz Rosenits [von] der Gemeindepolizei Hainburg begleitet. Steller frug Rosenits, ob das die Leichen der erschossenen Juden von heute Nacht sind. Herr Rosenits bejahte die Frage des Steller und sagte, es sind drei erschossene Juden. Weiters sagte noch Herr Rosenits, die SA braucht noch in letzter Minute solch ein Stück aufführen, wenn die Russen kommen, heißt es dann, das hätte die Polizei getan. Inzwischen kam das Milchauto des Zehetgruber, welches nach Engerau fuhr. Steller und ich bestiegen nun das Auto und fuhren in Richtung Engerau. Als wir ca. ½ km fuhren, sahen wir auf der linken Straßenseite, meist durch Genickschuss erschossene Juden liegen.
Von Hainburg bis Wolfsthal sahen wir nur auf der linken Straßenseite erschossene Juden liegen. Von Wolfsthal bis Engerau, lagen auf beiden Straßenseiten erschossene Juden. An manchen Stellen betrug der Abstand der Leichen nur 10 bis 15 Schritte. Die meisten Juden wurden durch Kopfschüsse getötet, weil man bei den meisten Leichen Blut im Gesicht sah. Es handelte sich durchwegs um Juden, da man auf der Kleidung deutlich den Judenstern sehen konnte. Ich zählte auf der linken Straßenseite auf der Strecke von Hainburg bis Engerau 23 erschossene Juden. Steller zählte auf der rechten Straßenseite derselben Strecke 15 erschossene Juden.
Als ich auf die Dienststelle kam und mit meinen Kameraden über vorangeführten Vorfall sprach, erzählten diese mir, dass es hier in Engerau noch viel mehr gegeben habe. Die politischen Leiter dürften angetrunken gewesen sein und ein wahres Blutbad unter den Juden angerichtet haben.
Der Polizeireservist Johann Hartl geb. 1903, in Wien wohnhaft, nähere Adresse ist mir nicht bekannt, und ich gingen in das Gasthaus Leberfinger in Engerau, um dort einen warmen Kaffee zu trinken. Die Wirtin, Frau Leberfinger sagte zu uns, heute bekommt ihr noch etwas, aber morgen nicht mehr. Denn erstens sind die meisten Angestellten evakuiert worden und zweitens bleibe sie nicht länger in dieser Leichenkammer. Frau Leberfinger sagte uns nun, dass in ihrem Haus 13 erschossene Juden liegen. Wir ersuchten sie nun uns die Leichen zu zeigen, was Frau Leberfinger mit der Bemerkung ablehnte, sie könne so etwas Grauenvolles kein zweites Mal ansehen. Sie sagte uns, wir sollen uns die Leichen alleine besichtigen. Wir gingen nun in das ehemalige Stallgebäude, wo sich das Lager für die Juden befand. Dort lagen Habseligkeiten der Juden verstreut umher. Im Hintergrund sahen wir schon einige Leichen liegen. Die Leichen hatten Kopfschüsse und lagen in einer Blutlache. Sämtliche Leichen trugen den Judenstern. Im Hofraum lag auf einer Pritsche eine Leiche, die mehrere Schüsse, teils im Kopf, teils in der Brust aufwies. Diese Leiche war nur mit einem Hemd und einer langen Stoffhose bekleidet. Auch in der Nähe der Latrine, die im Hofe war und eigens für die Juden bestimmt war, lagen zwei der drei Leichen, ebenfalls durch Kopfschüsse getötet. Der Anblick der Leichen war grauenhaft. Wir gingen noch im Hofe umher und sprachen dann mit der Gastwirtin, wie sich die Ermordung zugetragen hat. Frau Leberfinger erzählte uns nun, dass am 29. März 1945 (Gründonnerstag) um ca. 22 Uhr die politischen Leiter die Juden zum Abmarsch antreten ließen. Es meldeten sich eben diese 13 Juden, dass sie krank seien und nicht marschieren können. Darauf sagten die politischen Leiter diese 13 Juden werden später abgeholt werden. Als nun die marschfähigen Juden aus dem Hause marschierten, kamen schon einige politisch Leiter oder SA-Männer, die Uniformen kenne ich nicht so genau, zum Tor herein, gingen in das Stallgebäude, wo sich die nicht marschfähigen Juden befanden, und in wenigen Minuten hörten wir schon eine wilde Schießerei sowie verzweifelte Hilferufe. Ich konnte dies nicht anhören und lief in das Haus zurück.
Weiter Angaben konnte Frau Leberfinger nicht machen.
Ich selbst wohnte in Engerau, Mozartgasse 20. In nächster Nähe, und zwar in der Richthofenstraße war in der ehemaligen Milchhandlung Ajpek ein Judenlager untergebracht. Ich selbst habe gesehen wie Juden, die infolge der schlechten und menschenunwürdigen Behandlung den Erfrierungstod gefunden hatten durch Fuhrwerke weggeschafft wurden. Im Monat Februar lag ein erfrorener Jude im Hofe und diese Leiche wurde auf den Misthaufen geworfen, wo sie 3 Tage liegen blieb.
Weitere Angaben kann ich nicht machen.

Hainburg, den 13. Juli 1945

Johann Lutschinger Brandstetter
Revierinspektor Gendarm

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