1. Engerau-Prozess Anklageschrift

Dublin Core

Titel

1. Engerau-Prozess Anklageschrift

Thema

Holocaust
Südostwall
Zwangsarbeit
Engerau

Beschreibung

Im 1. Engerau-Prozess wurden vier ehemalige SA-Männer und Angehörige der Wachmannschaft des Lagers Engerau angeklagt, ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in der Zeit von Ende November 1944 bis 29. März 1945 gequält und misshandelt bzw. ermordet zu haben.

Urheber

Staatsanwaltschaft Wien

Quelle

WStLA, LG Wien Vg 2b Vr 564/45, 1. Engerau-Prozess (Gerichtsakt)

Datum

1945-07-31

Sprache

Deutsch

Typ

Dokument (Transkript)

Text Item Type Metadata

Text

[StA Wien] 15 St 6724/45/5
[LG Wien] Vg 2b Vr 564/45

Landesgericht für Strafsachen Wien
Eingelangt am 4. Aug[ust] 1945

Anklageschrift

Die Staatsanwaltschaft Wien erhebt gegen:
a) Rudolf Kronberger, geb. am 22.3.1905 in Ferschnitz Bez. Melk, N. Ö., zust. nach Wien, ggl. [gottgläubig], verh[eiratet], Fleischhauer u[nd] Selcher, wohnhaft Wien 3., Adams¬gasse 9/8, in Haft,
b) Alois Frank, geb. am 22.1.1896 in Wien, [...] rk. [römisch-katholisch], verh., Koch, wohn-haft in Wien 3., Erdbergerstraße 12/12, in Haft,
c) Wilhelm Neunteufel, geb. am 7. 10. 1901 in Wien, [...], ggl., verh., Maler- und Anstreicher, wohnhaft in Wien 5., Zentagasse 3/25-27, in Haft,
d) Konrad Polinovsky, geb. am 9.7.1902 in Wien, [...], rk., verh., Sattlergehilfe, wohnhaft Wien 3., Kardinal Naglplatz 5/7, in Haft, die

A n k l a g e :

Sie haben
I) in Engerau (slow. Petrzalka) u[nd] zw[ar]:
1) Rudolf Kronberger in der Zeit vom Dezember 1944 bis März 1945 als Verbindungsmann zwischen dem Kommandanten des Judenlagers Engerau und der Außenstelle Engerau der Gestapo gegen wenigstens sie¬ben Lagerinsassen durch Abgabe von Schüssen aus nächster Nähe in der Absicht, sie zu töten, – u. zw. in einem Fall in tätigem Zusammenwirken mit Wilhelm Neunteufel – auf eine solche Art gehandelt, dass daraus deren Tod erfolgte;
2) Rudolf Kronberger in der Zeit vom Dezember 1944 bis März 1945 in gleicher Eigenschaft gegen zwei Lagerinsassen durch Abgabe von Schüssen aus nächster Nähe in der Absicht sie zu töten zur wirklichen Ausführung führende Handlung unternommen, es sei die Vollbringung des Verbrechens nur durch Zufall unterblieben; hieraus sei in einem Fall eine schwere, im anderen Fall eine leichte Verletzung der Angeschossenen erfolgt;
3) Alois Frank am 20. Februar 1945 als Wachposten gegen einen Lagerinsassen durch Abgabe eines Schusses, in der Absicht, ihn zu töten, auf eine solche Art gehandelt, dass daraus dessen Tod erfolgte;
4) Wilhelm Neunteufel in der Zeit vom Dezember 1944 bis März 1945 als Angehöriger der Lagerwache des Judenlagers Engerau gegen zwei Lagerinsassen durch Abgabe von Schüssen aus nächster Nähe, in der Absicht, sie zu töten, – davon in einem Fall in tätigem Zusam¬men-wirken mit dem Angeklagten Rudolf Kronberger - auf eine solche Art gehandelt, dass da¬raus deren Tod erfolgte;

II) Am Abend des 29. März 1945 in Engerau u. zw.
1) Alois Frank als Angehöri¬ger eines aus Mitgliedern der Lagerwache des Judenlagers gebildeten Sonderkommandos gegen eine größere Zahl nichtmarschfähiger Lagerinsassen durch Ab¬gabe von Schüssen aus nächster Nähe und durch Kolbenhiebe, in der Absicht, sie zu töten, auf eine sol¬che Art gehandelt, dass daraus deren Tod erfolgte;
2) Wilhelm Neunteufel als Angehöriger des unter Punkt 1) erwähnten Sonderkommandos zur Ausübung des dort bezeichneten Verbrechens des Alois Frank und des gleichartigen Verbre-chens weiterer Mitglieder des Sonderkommandos, Hilfe geleistet und zu seiner sicheren Vollstreckung bei¬ge¬tragen;

III) In der Nacht vom 29. zum 30. März 1945, sohin zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, auf der Strecke von Engerau nach Bad Deutsch-Altenburg u. zw.
1) Rudolf Kronberger, Alois Frank, Wilhelm Neunteufel und Konrad Polinovsky, als Angehö-rige der Eskorte der ¬Insassen des ehemaligen Judenlagers Engerau, die von ihnen eskortierten Gefangenen aus po¬litischer Gehässigkeit und unter Ausnützung ihrer Gewalt als Wachmann-schaften in einen qualvollen Zu¬stand versetzt; es seien dadurch die Menschenwürde und die Gesetze der Menschlichkeit aufs gröbste ver¬letzt worden und es habe die Tat in wenigstens einem Fall den Tod des Betroffenen zur Folge ge¬habt;
2) Alois Frank als Angehöriger der unter Punkt 1) bezeichneten Eskorte gegen drei Männer durch Abgabe von Schüssen, in der Absicht, sie zu töten, auf eine solche Art gehandelt, dass daraus deren Tod erfolgte;
3) Wilhelm Neunteufel als Angehöriger der unter Punkt 1) bezeichneten Eskorte gegen zwei Gefangene durch Abgabe von Schüssen, in der Absicht, sie zu töten, auf eine solche Art gehandelt, dass daraus deren Tod erfolgte;
4) Alois Frank in Wien vom Jahre 1935 bis 13. März 1938 der NSDAP und der SA angehört und habe als Illegaler in Verbindung mit seiner Betätigung für die NSDAP und die SA Handlungen begangen, die den Gesetzen der Menschlichkeit gröblich widersprechen u. zwar die unter Punkt I/1, I/4, II/1, III/1 u. 2 unter Anklage gestellten Straftaten.
Es haben hierdurch begangen:
Rudolf Kronberger zu I/1 das Verbrechen des vollbrachten gemeinen Mordes in sieben Fällen nach § 134, 135/4 StG., zu I/2 das Verbrechen des versuchten gemeinen Mordes in zwei Fällen nach §§ 8 [Mordversuch], 134, 135/4 StG. sowie zu III/1 das Verbrechen der Quälereien und Misshandlungen nach § 3 Abs. 1 u.2 des Kriegsverbrechergesetzes;
Alois Frank zu I/3, II/1 sowie zu III/2 das Verbrechen des vollbrachten vielfachen gemeinen Mordes nach §§ 134, 135/4 StG., ferner zu III/1 das Verbrechen der Quälereien und Miss-handlungen nach § 3 Abs. 1 u. 2 des Kriegsverbrechergesetzes, überdies zu IV das Verbrechen des Hochverrates nach § 58 StG., in der Fassung der §§ 10 und 11 Verbotsges[etzes];
Wilhelm Neunteufel zu I/4 und zu III/3 das Verbrechen des vollbrachten gemeinen Mordes nach §§ 134, 135/4 StG., in vier Fällen, ferner zu II/2 das Verbrechen des vollbrachten vielfachen gemeinen Mordes als Mitschuldiger nach §§ 5, 134, 135/4 StG. und schließlich zu III/1 das Verbrechen der Quälereien und Misshandlungen nach § 3 Abs. 1 u. 2 Kriegsverbre-cherges.;
Konrad Polinovsky zu III/1 das Verbrechen der Quälereien und Misshandlungen nach § 3 Abs. 1 u. 2 Kriegsverbrecher-Ges.
Sie seien hiefür sämtliche nach § 3 Abs. 2 unter Bedachtnahme auf § 9 Kriegsverbr[echer] Ges[etz] [= Vermögensverfall], die Beschuldigten Rudolf Kronberger, Alois Frank und Wilhelm Neunteufel unter Bedachtnahme auf § 12 Kriegsverbr.Ges. [Zusammentreffen mit anderen Strafgesetzen] und § 34 StG. [Hat ein Verbrecher mehrere Verbrechen begangen, welche Gegenstand der nämlichen Untersuchung und Aburteilung sind, so ist er nach jenem, auf welches die schärfere Strafe gesetzt ist, jedoch mit Bedacht auf die übrigen Verbrechen, zu bestrafen] zu bestrafen.

A n t r ä g e :

1.) Anordnung einer Hauptverhandlung vor dem Volksgericht Wien,
2.) Vorführung der [...] in Untersuchungshaft zu belassenden Beschuldigten Rudolf Kronber-ger, Alois Frank, Wilhelm Neunteufel und Konrad Polinovsky als Angeklagte,
3.) Ladung der Zeugen: [...]
4.) Ladung des Herrn Prof. Dr. Leopold Breitenecker und des Doz. Dr. Hans Winkler des ger[ichts]-med[izinischen] Institutes, Wien 9., Sensengasse 2 als Sachverständige,
5.) [...],
6.) Verlesung [...] der polizeilichen Anzeigen [...], der Gendarmerieerhebungen [...], der staatspolizeilichen Protokolle [...], Vorweisung der [...] geographischen Skizze, Verlesung der beglaubigten Übersetzung des Auszuges aus dem Erhebungsakt der tschechoslow[akischen] staatlichen Untersuchungskommission [...], Verlesung der Protokolle über den Lokalaugen-schein [...], Verlesung der Sachverständigen-Gutachten [...], schließlich Verlesung der Straf-karten und Leumundsauskünfte.

B e g r ü n d u n g :

Im Winter 1944 ließen die deutschen Behörden in Engerau (slow. Petrzalka) ein Konzentrati-onslager für ungarische Staatsbürger israelischer Konfession errichten, die zu Zwangsarbeiten beim Bau des sogenannten Ostwalles verwendet wurden. Das Lager zerfiel in mehrere Teillager u. zw.:
1.) Teillager Auliesl,
2.) Teillager Fürst,
3.) Teillager Schinawek,
4.) Teillager Wiesengasse,
5.) Teillager Leberfinger,
6.) Teillager Bahnhofstraße,
7.) Krankenrevier
Im Ganzen wurden anfangs Dezember 1944 gegen 2000 Männer dort angehalten. Das Lager stand zunächst unter dem Befehl des nunmehr flüchtigen Blutordensträgers und als besonderen Fanatiker beschriebenen Edmund Kratky, der später durch den gleichfalls flüchtigen allgemein als besonders brutal und fanatisch geschilderten Falkner abgelöst wurde. Ortskommandant von Engerau war ein ebenfalls noch nicht aufgefundener politischer Leiter namens Starosinsky [richtig: Staroszinsky]. Abschnittsleiter im Stellungsbau des Ostwalles war ein gewisser Dr. [...] Hopp, der steckbrieflich verfolgt wird; den SA-Teilabschnitt Kittsee befehligte ein gewisser Terzer. Die Bewachung des Lagers oblag SA-Männern, die größtenteils zur Standarte 84, zum geringeren Teil zur Marine-SA-Standarte 12 gehörten. Tagsüber scheint das Kommando über die einzelnen Lagerwachen jeweils ein politischer Leiter geführt zu haben.
Die Behandlung, die den in diesem Lager Angehaltenen widerfuhr, lässt sich kurz kaum schildern. Dass diese Unglücklichen nur mit Fetzen bekleidet waren, dass sie auf das Mangel-hafteste verpflegt wurden, dass viele an Erschöpfung und Erfrierung starben, war noch das Mindeste. Dazu kamen Misshandlungen aller Art, Ohrfeigen, Faustschläge, Fußtritte, die oft schwere Verletzungen zur Folge hatten. Wiederholt wurden die Lagerinsassen auch noch ihrer armseligen Habseligkeiten beraubt. Wer zu flüchten versuchte, war aufzugreifen, wenn er nicht dabei sofort erschossen wurde. Die wieder Eingebrachten wurden zunächst zur Gestapo geschleppt, die in Engerau eine Außenstelle hatte. Die Hauptfunktionäre derselben sind noch flüchtig. Bei der Gestapo wurden die Opfer aufs Grausamste misshandelt. Zur Charakterisie-rung sei erwähnt, dass sich einer der Hauptschuldigen, ein gewisser Schwenk, dafür ein eigenes System ausgedacht hatte. Er ließ die Eingebrachten sich mit dem Kopf zur Wand stellen und stieß dann – er war ein Riese an Gestalt und Kraft im Vergleich zu den ausgehungerten und erschöpften Opfern – die Unglücklichen so kräftig mit dem Kopf zur Wand, dass sie oft das Nasenbein brachen. An derartige Misshandlungen schloss sich dann die sogenannten Liquidie-rung, d. h. die Opfer waren zu erschießen; auch dafür gab es eine eigene Methode: dem Opfer wurde die Mündung einer Pistole unterhalb des Scheitelhöckers in einer besonderen Richtung angesetzt und dann wurde abgedrückt. Wenn die Gestapo sonst diese mit dem Wort "Liquidie-rung" umschriebenen Morde selbst besorgte, so bediente sie sich im Fall der aufgegriffenen Flüchtlinge aus dem Judenlager Engerau eine eigenen "Verbindungsmannes" aus den Reihen der SA-Wache, der zu diesem Zweck dem Lagerkommandanten "zur besonderen Verwendung" zur Verfügung stand, und der ihm über den Vollzug dann jeweils Bericht zu erstatten hatte. Wieviel Menschen auf solche gewaltsame Weise ums Leben gebracht wurden, kann nicht genau angegeben werden. Tatsache ist, dass eine große Zahl bei sog[enannten] Fluchtversuchen erschossen wurde, dass eine sehr beträchtliche Zahl "liquidiert" wurde, was meistens auf dem Ortsfriedhof oder neben demselben zur Nachtzeit vor sich ging – der bei dem Friedhof woh-nende Totengräber Leopold Kropeliza [richtig: Prepeliza] weiß allein von 20 - 25 solchen Erschießungen zu berichten – und dass zahlreiche Menschen durch Hunger, Kälte und Er-schöpfung schon zu einer Zeit zugrunde gingen, solange die Front noch ferne von Engerau war. Schon Anfang Dezember 1944 war außerhalb der Friedhofsmauer ein Massengrab angelegt worden, dass so ersonnen war, dass immer vier Leichen übereinandergelegt und mit der Erde aus dem schon für die nächsten vier bestimmten Grab zugedeckt wurden. Auf diese Weise entstand ein buchstäblich Tag für Tag wachsendes Massengrab.
Die im Lauf der Voruntersuchung geführten Erhebungen haben einwandfrei ergeben, dass keineswegs alle der zum Bewachungsdienst herangezogenen Männer an dem Misshandlungen und Erschießungen beteiligt waren. Wer nicht mittun wollte, wurde von den sich austobenden Gewalthabern und deren Helfern von ihrem Treiben geradezu fern gehalten und darüber im Dunkeln gelassen, sodass mancher nur Redereien zu Ohren bekam, über das was vor sich ging. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass die meisten der sogenannten Fluchtversuche sich merkwürdigerweise gerade dort ereigneten, wo besondere Fanatiker Wache standen, z. B. die derzeit noch flüchtigen SA-Männer Acher und Karkovsky [richtig: Kacovsky], und dass sogar damals schon deren Meldungen, es habe sich um Erschießungen bei Fluchtversuchen gehandelt, nicht mehr geglaubt wurden, weil die bei ihren Opfern vorgefundenen Wunden eben eindeutig das zeigten, was wirklich geschehen war: sie hatten die Männer einfach aus Lust zum Töten niedergeschossen. Die bloße Tatsache, dass über einen solchen Fall sogar Gendarmerie-erhebungen eingeleitet wurden, beweist, dass derartige Handlungen nicht einmal durch die Blutbefehle der nationalsozialistischen Gewalthaber gedeckt waren. Der Beschuldigte Neunteu-fel hat eine Äußerung des SA-Abschnittskommandanten Terzer bestätigt, welche blitzartig die Zustände beleuchtet. Danach billigte Terzer die sog. Erschießungen bei Fluchtversuchen mit den Worten: "Das ist schon recht, ich will, dass meine Burschen hart werden".
Waren die Zustände im Lager Engerau an und für sich entsetzlich, so stand den unglücklichen Insassen das Grauenhafteste bevor, als sich russische Truppen Engerau näherten. Die Gewalt-haber und Hauptschuldigen an den im Lager begangenen Verbrechen wollten natürlich vermei-den, dass die von ihnen seit Monaten gepeinigten Lagerinsassen von den Russen befreit würden und so ihre Schandtaten bekannt würden. Es wurde daher verfügt, dass das Lager nach Mauthausen verlegt werden sollte. Da sich der ursprünglich vorgesehene Transport mit der Bahn nicht bewerkstelligen ließ, wurde ein Fußmarsch von Engerau über Wolfsthal und Hainburg nach Bad Deutsch-Altenburg vorgesehen, von wo dann die Lagerinsassen zu Schiff weiter donauaufwärts weggebracht werden sollten.
Da offenkundig war, dass eine große Zahl von Gefangenen nicht mehr marschfähig war, beschlossen die Gewalthaber, die Unglücklichen von vorneherein zu beseitigen. Zunächst verfiel man auf die Idee, die Baracken, in denen sich die Marschunfähigen befanden anzuzün-den. Man kam aber von diesem Plan dann doch ab und begnügte sich damit, die Marschunfähi-gen in der üblicheren Weise des Erschießens zu liquidieren, wozu einige der grausamsten Fanatiker, sozusagen als Mordkommando, ausersehen wurde. Diese führten denn auch am Gründonnerstag (29. März 1945) abends diesen Plan in und bei den einzelnen Unterkünften buchstäblich aus: sie brachten mit Schüssen, aber auch mit Stichen und Kolbenhieben alles ums Leben, was nicht mehr marschieren konnte. Es handelte sich um über 100, wenn nicht hunderte Menschen.
Die tschechoslow. Untersuchungskommission hat aus dem Massengrab in Engerau, das heute wieder tschechoslowakisches Staatsgebiet ist, nicht weniger als 460 Leichen exhumieren und obduzieren lassen. Obwohl sich diese Leichen teilweise schon in stark verwestem Zustand befanden, konnten an 48 Körpern Schussverletzungen und hievon an fünf zweifache Schuss-verletzungen festgestellt werden. Die Schüsse waren auf Kopf, Hals, Brust, Bauch, Rücken abgegeben worden, teilweise von vorn nach hinten, teilweise von hinten nach vorn. In einigen Fällen waren die Schussverletzungen nicht unmittelbar tödlich gewesen. Der Tod dieser Opfer muss durch Verblutung, Erfrierung, vielleicht auch durch Erstickung eingetreten sein, nachdem sie noch lebendig begraben worden waren. In einigen Fällen waren die Schädel eingeschlagen.
Wie die Engerauer Bauern, welche von den nationalsozialistischen Gewalthabern gezwungen worden waren, die Leichen zum Friedhof zu den oben erwähnten Massengrab zu führen, bestätigen, waren gerade die nach dem Abmarsch der Lagerinsassen vorgefundenen zahllosen Leichen besonders grauenhaft verstümmelt.
Der Abmarsch erfolgte am Gründonnerstag abends um etwa 22 Uhr von einem Sammelplatz zunächst dem Industriegeleise der Semperitfabrik. Der Zug bestand aus vermutlich ungefähr 1600 Gefangenen, die von etwa 30 SA-Männern und etwa 70 politischen Leitern eskortiert wurden; das Kommando führte der schon erwähnte Starosinsky [richtig: Staroszinsky], welcher sich zunächst an der Spitze des Zuges aufhielt. Es gab – ob aus Eigenem oder über höhere Weisung, ist noch ungeklärt – den Auftrag und der schon erwähnte Falkner, welcher sich am Ende des Zuges befand, gab ihn weiter, dass jeder, der nicht mitkomme "umgelegt" werden solle. Kaum dass die Kolonne, welche die Länge von einem Kilometer gehabt haben dürfte, sich in Bewegung gesetzt hatte, fielen auch schon die ersten Schüsse. Es fehlen der menschlichen Sprache beinahe die Worte, um zu schildern, was sich nun abspielte. Es begann eine Schießerei, welche einer der Angeklagten im Zuge der Voruntersuchung mit dem Wort "Hasenjagd" bezeichnete.
Die Männer der Eskorte – sie waren zum Teil alkoholisiert – trieben die Gefangenen erbar-mungslos weiter, hetzten sie unter wüstesten Beschimpfungen und Drohungen ununterbrochen an, hieben mit Stöcken und Kolben auf sie ein und beschränkten sich nicht nur darauf, etwa solche, die tatsächlich nicht mehr weiterkamen, zu töten, sondern stießen auch die noch Marschierenden aus der Einteilung, brachten sie von rückwärts zu Fall und schossen sie zusammen, wobei nicht nur Pistolen, sondern auch Gewehre verwendet wurden. Die Schieße-rei wurde so wild, dass sogar ein Angehöriger der Eskorte verwundet wurde. Sie hatte auch mit den Auftrag, dass niedergemacht werden solle, wer nicht mehr mitkomme, sogar nach dem Empfinden des berüchtigten Starosinsky [richtig: Staroszinsky] so wenig zu tun und nahm solche Formen an, dass der an der Spitze befindliche Starosinsky [richtig: Staroszinsky] den Befehl rückwärts sandte und, da dies nicht half, auch noch selbst überbrachte, die Schießerei müsse eingestellt werden. Dies wurde freilich nur kurze Zeit eingehalten. Denn als einige Zeit später Starosinsky [richtig: Staroszinsky] und Falkner einen Mann, der angeblich nicht mehr weiterkam, durch einen Schuss töteten, lebte weiter vorne in der Kolonne die Schießerei sofort wieder auf und dauerte bis ans Marschziel Deutsch-Altenburg an. Insgesamt dürften auf diesem Marsche 102 Menschen den Tod gefunden haben. Nach der Ankunft in Deutsch-Altenburg hielten der eingangs erwähnte Abschnittskommandant Dr. [...] Hopp und der gleichfalls noch flüchtige Kreisleiter von Bruck a. d. Leitha eine Art Appell ab und machten der Eskortmannschaft Vorhaltungen wegen ihres Treibens. Offenbar versuchten sie damit, sich von den Morden zu distanzieren, obwohl dringender Verdacht besteht, dass sie durch ihre Weisun-gen ursprünglich dazu beigetragen hatten, dass derartige Gräueltaten überhaupt möglich waren. Einige Männer der Eskorte, die wenigstens noch den Mut aufbrachten, sich vor ihrem Vorge-setzten zu ihren Taten zu bekennen, wurden sogar einige Stunden in Hainburg festgehalten. Es ist aber besonders bemerkenswert, dass gerade die berüchtigtsten Gewaltmenschen unter ihnen schon vorher den Zug verlassen hatten, offensichtlich, weil sie wussten, welche Schuld sie auf sich geladen hatten.
Von Bedeutung ist auch noch die Einzelheit, dass jene Männer, welche in Engerau die Nicht-marschfähigen massenweise ums Leben gebracht haben, den Schluss des Zuges bildeten, und dass diejenigen unter den Gefangenen, die, obwohl sie besonders schwächlich und gebrechlich waren, doch versuchten, den Marsch anzutreten, am Ende der Kolonne eingereiht wurden.
Die Opfer dieses nächtlichen Todesmarsches wurden am nächsten Tag (Karfreitag) teils von Fuhrleuten zu Massengräbern gebracht, teils einzeln eingescharrt. Eines dieser Massengräber am Ortsausgang von Hainburg in der Richtung gegen Engerau gelegen, konnte festgestellt und die darin begrabenen Leichen exhumiert und obduziert werden. Nach den in den Gewändern vorgefundenen Dokumenten handelt es sich um 10 ungarische Staatsbürger namens Dr. Rudolf Pevny, Arnold Herz, Ernö Lendler, Alfred Steiner, Isidor Lehner, Elemer Hartslein, Laszlo Szekely, Jakob Klein, Kalman Grosz und Tibor Gold, die nahezu alle Inhaber einer Bestätigung über ihre Eintragung in einem Schweizer Sammelpass waren. Durch gerichtsärztliche Untersu-chung ist festgestellt, dass einer dieser Männer u. zw. Dr. Rudolf Pevny an allgemeiner Erschöpfung in Verbindung mit den maßlosen Aufregungen zugrunde gegangen sein muss, da seine Leiche keine Verletzung aufwies, die als Todesursache in Betracht kommen könnte. Die übrigen Leichen wiesen teils Kopf – teils Halsschüsse auf. In drei Fällen muss der Schuss aus unmittelbarster Nähe abgefeuert worden sein, da sich am Stoff der Kleider Pulverreste nach-weisen ließen.
Ein zweites Massengrab befindet sich in Deutsch-Altenburg, wo nach den Erhebungen auch ein Mann begraben liegen dürfte, dem der Schädel eingeschlagen worden war.
Die Überlebenden des Transportes wurden 2 Tage später, [...] am Ostersonntag dem 1. April 1945 in Deutsch-Altenburg auf Schiffe gebracht und unbekannt wohin abgefertigt.
Dies ist der Sachverhalt, welcher der Anklage zugrunde liegt. Die jetzt Beschuldigten waren wohl nicht die Rädelsführer dabei, sie haben aber an den Untaten mitgewirkt, zum Teil mit besonderer Grausamkeit oder in besonderer Funktion.
Rudolf Kronberger war zuletzt SA-Scharführer. Er behauptet, in der Verbotszeit nichts mit der NSDAP zu schaffen gehabt zu haben, sondern behauptet mehrere SS-Leute angezeigt zu haben; deshalb habe er Angst vor Verfolgung gehabt und habe, durch Beziehungen guter Bekannter einen auf das Jahr 1932 rückdatierten SA-Ausweis erhalten. Ebenso wurde er Mitglied der NSDAP. Kronberger war ursprünglich Fleischhauer, kam dann zur Reichsbahn, wo er es zum Vertrauensmann des Fahrdienstes in Wien-Ostbahnhof brachte. Er wurde in der ersten Novemberhälfte 1944 zum aktiven SA-Dienst einberufen, kam zunächst nach Kittsee zur Bewachung von Ausländerlagern und etwa 3 Wochen später, also ca. Anfang Dezember 1944 nach Engerau zur Wache des Judenlagers. Er versucht heute aus begreiflichem Grund, seinen Anteil an den Untaten möglichst zu verkleinern. Er war es auch, der selbst durch eine Art Meldung bei der Polizei die ganze Untersuchung ins Rollen brachte. All das kann aber nicht verdecken, dass er aufs schwerste belastet ist.
Kronberger stand in Engerau dem Lagerkommandanten, also ursprünglich Kratky, später Falkner "zur besonderen Verwendung", zur Verfügung. Er war der Verbindungsmann zwischen Lagerkommando und Gestapo. In Übereinstimmung mit den Angaben von Mitbe-schuldigten und den sonstigen Beweisergebnissen ist er geständig, an mindestens neun sog. Liquidierungen aktiv mitgewirkt zu haben, weil er noch nicht ganz tot war. Kronberger behaup-tet weiters, dass ihm in einigen anderen Fällen den unmittelbaren Vollzug andere abgenommen hätten, er nur dabei als der eigentlich damit Betraute anwesend gewesen sei und den Vollzug dann gemeldet habe. Richtig scheint dies nur in zwei Fällen zu sein, in denen einmal Neunteu-fel, das andermal der noch flüchtige, besonders berüchtigte Entenfellner mitwirkte. Die Ver-antwortung Kronbergers ist schon deshalb nicht voll glaubwürdig, weil er sich zahlenmäßig bei der Aufzählung dieser Fälle in Widersprüche verwickelte und weil auch feststeht, dass er von einer solchen Stellvertretung im Vollzug bei seinen Meldungen nichts erwähnte. Aber selbst dann, wenn die Angaben des Kronberger richtig wären, würde ihn dies nicht entlasten, weil er dann als Besteller und Mitwirkender die gleiche Strafe verwirkt hätte, wie der jeweilige unmittelbare Täter. In zwei Fällen behauptet Kronberger weiter, zwar selbst geschossen zu haben, jedoch nach Vereinbarung mit den Opfern absichtlich so, dass sie nicht tot auf dem Platz bleiben sollten, sondern die Möglichkeit haben sollten, sich zu retten. Einer der beiden Männer erhielt einen Lungenschuss, sohin eine an sich schwere Verletzung und wurde angeblich nach etwa 4 Wochen geheilt; der zweite, der einen Armschuss – eine objektiv leichte Verletzung – erhalten hatte, soll später von einem Wachposten erschossen worden sein, als er sich dem Lager näherte. In diesen Fällen ist die Verantwortung des Kronberger nicht recht glaubwürdig. Zwar kann im Zusammenhang mit den Angaben des Mitschuldigen Neunteufel objektiv angenom-men werden, dass Kronberger einmal zwei Lagerinsassen tatsächlich nur verwundet hat, doch entspricht seine damalige Meldung, dies sei auf ein Versagen der Waffe zurückzuführen, besser seiner ganzen Einstellung und seiner Handlungsweise in den übrigen Fällen, sodass anzuneh-men ist, dass er auch in diesen Fällen die Absicht hatte, die Opfer genau so zu liquidieren wie in allen anderen Fällen auch und dass er jetzt nur versucht, den Zufall dass es infolge Versa-gens der Waffe beim Versuch geblieben ist, für sich auszuschroten [sic].
Eine Beteiligung an den Massenliquidierungen anlässlich der Auflösung des Lagers konnte Kronberger bisher nicht nachgewiesen werden. Hingegen hat er am Nachtmarsch teilgenommen u. zw. als Meldungsfahrer, wobei er sich anfänglich an der Spitze des Zuges aufhielt, später seinen Platz jedoch mehrfach wechselte. Seiner Verantwortung nach überbrachte er auch dem Falkner die Weisung des Starosinsky [richtig: Staroszinsky], die wilde Schießerei einzustellen.
Alois Frank ist nach den Ergebnissen der Voruntersuchung als einer der grausamsten Fanatiker unter der ganzen Lagerwache anzusehen. Er ist seiner Untaten trotz zurückhaltender Verant-wortung zu überführen. Er hat zunächst bei der Polizei ein teilweises Geständnis abgelegt, dasselbe aber später widerrufen und behauptet, er sei bei der Polizei durch Drohungen unter Druck gesetzt worden.
Die in dieser Richtung gemachten Vernehmungen und Erhebungen haben die absolute Unrich-tigkeit dieser Behauptung ergeben.
Frank, von Beruf Koch, ist seit 1935 Mitglied der SA und der NSDAP gewesen. Er hat sich in der Verbotszeit aktiv betätigt, erhielt die Bezeichnung "alter Kämpfer" und ist auch Besitzer der sog. Ostmarkerinnerungsmedaille. Er ist sohin als Illegaler anzusehen. Bei der SA brachte er es zum Scharführer. Nach Engerau kam er am 4. Jänner 1945. Er war im Außendienst bei den Streifen tätig. Laut Aussage von Mitbeschuldigten sowie von Zeugen benahm er sich vom Anfang an den Lagerinsassen gegenüber besonders roh und gewalttätig. Er selbst ist geständig am 20. Februar 1945 einen Mann "auf der Flucht" erschossen zu haben. Da erwiesen ist, dass gerade er, der als besonderer Scharfmacher galt, immer wieder sog. Flüchtlinge aufgriff, ist anzunehmen, dass auch in diesem Fall die Angabe, es habe sich um einen Fluchtversuch gehandelt, eine Ausrede ist.
Frank gehört weiters, wie er selbst später dem Mitbeschuldigten Kronberger erzählte, zu dem Sonderkommando, das die Massenmorde an den Nichtmarschfähigen in Engerau am Abend des Gründonnerstag vollzog. Danach hat er sich an den Massenerschießungen im Teillager Wiesengasse, ebenso bei denen im Teillager Leberfinger. Dort blieb ihm der Verschluss bei seiner Waffe hängen, sodass er mit Kolbenschlägen weiterwütete, bis ihm das Gewehr abbrach. Frank versuchte dies in Abrede zu stellen, musste aber bei einer Vernehmung durch den als Zeugen geführten Gend[armerie]-Rev[ier]-Insp[ektor] Lutschinger zugestehen, dass er vor dem Abmarsch im Teillager Leberfinger anwesend gewesen ist. Freilich will er Glauben machen, dort nur gesehen zu haben, wie die anderen Angehörigen des Sonderkommandos Juden erschossen haben, selbst aber nichts getan haben. Durch die genauen Mitteilungen des Mitbe-schuldigten Kronberger über die Erzählungen des Frank unmittelbar nach den Vorfällen noch während des Nachtmarsches, welche mit den durch die Erhebungen in Engerau festgestellten Verhältnisse genau übereinstimmten, erscheint er jedoch der Mitwirkung an diesen Massen-morden überwiesen. Frank marschierte dann als Angehöriger des Mordkommandos am Ende der Kolonne mit. Er gab bei der Polizei zu, drei Gefangene, die angeblich schon von anderen verwundet worden waren, erschossen zu haben. Wenn er dies zu widerrufen versucht hat, so ist das schon deshalb heute belanglos, weil er vom Mitbeschuldigten Kronberger selbst bei seiner Tat beobachtet wurde. Charakteristisch ist, dass Frank zu denen gehört, die sich nach der ärgsten Schießerei aus dem Staub machten und gesondert nach Wien fuhren, was als schwer-wiegendes Indiz dafür zu werten ist, dass sich Frank der Verantwortung entziehen wollte, nachdem sogar der Zugskommandant Staroszinsky gegen die wilde Morderei Stellung genom-men hatte.
Wilhelm Neunteufel war zuletzt Maler und Anstreicher. Er kam seiner Behauptung nach am 13. März 1938 zur SA und sodann auch zur NSDAP. Er war SA-Truppführer. Er war als einziger der heutigen Beschuldigten eine Zeit zur Wehrmacht eingezogen und rüstete schließlich 1943 ab, weil er infolge eines Unfalles nachtblind geworden war. Er wurde deshalb in Engerau auch nicht zum Streifendienst verwendet, sondern als Schreiber dem Lagerkommandanten zugeteilt. Als solcher war er über alle Vorgänge weit besser orientiert als die meisten der übrigen Lagerwachen, weil er die Meldungen über alle Vorkommnisse, insbesondere auch über Fluchtversuche, Erschießungen dabei und die vollzogenen Liquidierungen aufzunehmen hatte. Er wurde von Kronberger auch unmittelbar zu Liquidierungen herangezogen und ist geständig, einen Juden auf diese Weise in Gegenwart des Kronberger erschossen zu haben. Neunteufel leugnet, doch erscheint er durch die Angaben des Kronberger überführt, der in diesem Fall zugibt, auf das Opfer, welches nach dem Schuss des Neunteufel noch nicht ganz tot war, einen zweiten Schuss abgegeben zu haben. Die Ermordung dieses Mannes ist Kronberger und Neunteufel als gemeinsam begangener Mord zuzurechnen.
Neunteufel gehörte ferner dem Mordkommando an, das die Nichtmarschfähigen beseitigte. Dies hat aber nicht nur Kronberger bestätigt, sondern auch Frank, der im Zuge der Erhebungen angab, Neunteufel sei bei den Massenmorden im Lager Leberfinger zumindestens anwesend gewesen. Damit stimmt auch überein, dass er sich während des Nachtmarsches am Ende des Zuges zusammen mit dem berüchtigten Falkner befand. Neunteufel ist geständig, während des Nachtmarsches zwei Männer, die angeblich bereits vorher durch Misshandlungen anderer verletzt worden waren, erschossen zu haben – aus Mitleid, wie er sich ausdrückte. Neunteufel war einer der wenigen, die sich bei dem Appell in Deutsch-Altenburg als an der Schießerei beteiligt gemeldet haben. Nach der Besetzung Wiens durch die russischen Truppen hat er versucht, sich durch Mitarbeit bei der KP [Kommunistische Partei] zu tarnen.
Gegen Konrad Polinovsky liegen bisher ausreichende Beweise für besondere Aktionen zur Zeit seines Dienstes in Engerau nicht vor. Er kam 1938 zur Betriebs-SA und brachte es bis zum Scharführer. Er wurde im Oktober 1944 nach Kittsee zum Schanzenbau notdienstverpflichtet und wurde anfangs Dezember 1944 zur Lagerwache Engerau eingeteilt. Er ist geständig, am Todesmarsch in der Karfreitagnacht teilgenommen zu haben. Er behauptet, als Wegkundiger an der Spitze marschiert zu sein.
In rechtlicher Hinsicht muss unterschieden werden zwischen den Vorfällen, die sich in Engerau zur Zeit des normalen Lagerbetriebes ereigneten, und jenen, die sich im Zusammenhang mit der Auflösung des Lagers und dem Abtransport seiner Insassen stehen.
Die Vorfälle in Engerau zur Zeit des Bestehens des Lagers sind jeder für sich von denen zu ver¬ant¬wor¬ten, die daran beteiligt waren. Den übrigen Mitgliedern der Lagerwache können sie nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht zugerechnet werden.
Die sog. Erschießungen auf der Flucht und ebenso die sogenannten Liquidierungen stel¬len sich als gegen einzelne Menschen gerichtete Handlungen dar, die in Tötungsabsicht vorge¬nom¬men wurden und zum Teil auch den Tod der Opfer herbeigeführt haben. Sie sind als Mord (§§ 134, 135/4 StG.) anzusehen, und in den beiden Fällen, in denen Kronberger seine Opfer nur verletzt hat, als Mordversuch
Anders ist es mit den Vorfällen anlässlich der Verlegung des Lagers. Die Massenliquidierung am Gründonnerstagabend in Engerau stell¬t eine einheitliche Aktion dar. Wer überführt ist, an der Tötung der Nicht¬marsch¬¬fähi¬gen beteiligt gewesen zu sein, ist, auch wenn ihm die Abgabe eines tödlichen Schusses oder die Führung ei¬nes Todesstreiches auf eine bestimmte Person nicht nachgewiesen werden konnte, in glei¬cher Weise schul¬dig, wie der unmittelbare Täter, weil er durch seine Anwesenheit und Un¬ter¬stützungsbereitschaft die Mordtaten der anderen erleich-tert hat, sie vor Entdeckung und dem Da¬zwi¬schen¬kommen von Hindernissen geschützt und das sonst vielleicht doch mögliche Entweichen des einen oder anderen Gefangenen verhindert hat. Wer daher überwiesen ist, dem Sonderkommando angehört zu haben, hat zumindest Mord als Mitschuldiger zu verantworten. Dies gilt insbesondere für den Beschuldigten Wilhelm Neun-teufel, der, wenn schon nicht der unmittelbaren Handanlegung, so doch der Anwesenheit im Teillager Leberfinger überführbar erscheint. Wer hingegen, wie der Beschuldigte Frank, unmittelbar gegen die Marschunfähigen vorgegangen ist und mit Schüssen und Hieben aktiv an ihrer Beseitigung mitgewirkt hat, hat sich in diesem Punkt des Mordes schuldig gemacht.
In gleicher Weise ist auch die Teilnahme an der Es¬kor¬te während des Nachtmarsches zu werten, nur mit dem Unterschied, dass die bloße Zugehörigkeit zur Eskorte keine so un¬mit¬telbare Mitschuld an den einzelnen, von anderen begangenen Gewalt¬ta¬ten, bedeuten konnte. Es ist ¬klar, dass die Teilnahme an einer Gefangeneneskorte durch dazu Befohlene, nicht von vornherein als strafbar erklärt werden kann, wohl aber wurde im vorliegenden Fall die Eskorte in jenem Au-genblick zu einer einheitlichen Quälereiaktion, als jedem Teilnehmer klar werden musste, worauf die Haupträdelsführer es abgesehen hatten: auf ein brutales Vorwärtstreiben völ¬lig erschöpfter Menschen, die sich unter Hieben und Stößen, unter ständigen Todesdrohungen und unter ständig durch die ununterbrochenen Schüsse namenlos gesteigerte Todesangst dahin-schleppten. Jeder, der an einer s o l c h e n Eskorte mitwirk¬te, mag er auch im Einzelfall nicht geprügelt, bedroht oder geschossen haben, mag er einfach an der Spitze vor¬aus¬marschiert sein, wie dies der Angeklagte Polinovsky behauptet, hat bewusst mitgewirkt, dass Menschen in brutalster, allen Gesetzen der Menschlich¬keit hohnsprechender Form, in den qualvollsten überhaupt denkbaren Zustand in Todesangst ver¬setzt wurden. Es ist daher sämtlichen an diesem Todeszug Betei¬lig¬ten das Verbrechen nach § 3 des Kriegsverbrechergesetzes zuzurechnen. In welchen Zustand die Opfer gerieten und was sie mitgemacht haben mussten, ergibt sich aus dem Sachverständigen-Gutachten über die Obduktion des Dr. Rudolf Pevny, der durch Erschöpfung zugrunde gegangen ist, ohne dass die Schuldigen erst noch ihn hätten nieder-schießen müssen.
Keiner, der heute unter Anklage gestellten Beschuldigten, hat auch den Versuch gemacht, sich der Mitwirkung an der Eskorte zu entziehen, obwohl sie sich völlig im Klaren darüber waren, was vor sich ging. Mit Rücksicht darauf, haben sich sämtliche Beschuldigte des Verbrechens nach § 3 Abs. 2 Kriegsverbr.Ges. schuldig gemacht.
Wer darüber hinaus überführbar ist, wie dies bei den Beschuldigten Frank und Neunteufel der Fall ist, selbst Gefangene erschossen zu haben, ist in diesen Fällen auch noch des Mordes schuldig geworden.
Dass ein angeblicher Befehl derartige Untaten nicht entschuldigt, ist durch das Gesetz ausge-sprochen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass der Be¬fehl, wenn er überhaupt gültig erteilt war, jedenfalls nur dahin lautete, es soll getötet werden, wer nicht mehr mitkomme. Die Schießerei brach aber sofort nach dem Abmarsch an allen Stellen fast gleichzeitig los, zu einer Zeit, da noch garnicht die Rede davon sein konnte, dass soviel Gefangene nicht mehr hätten mitkommen können. Die Schießerei wurde ja auch so arg, dass der Kommandant der Eskorte eingriff, ohne dass aber deshalb das Morden aufgehört hätte – Leichen wurden bis unmittelbar vor Bad Deutsch-Altenburg gefunden –, die Schießerei war so befehlswidrig, dass am folgen-den Tag beim Appell sogar der Kreisleiter und der Abschnittskommandant dagegen Stellung nahm. Die persönliche Schuld der Angeklagten ist daher eindeutig.
Wie oben erwähnt, war der Angeklagte Frank illegal für die NSDAP und die SA tätig. Er ist daher auch des Verbrechens des Hochverrates [...] angeklagt, weil er sich in Verbindung mit seiner Tätigkeit für die Partei und die SA die heute unter Anklage gestellten Straftaten, somit Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Gesetzen der Menschlichkeit gröblich wider-sprachen.
Die Zuständigkeit des Volksgerichtes zur Aburteilung sämtlicher angeklagten Straftaten gründet sich auf Artikel V des Verbotsgesetzes und § 13 des Kriegsverbrechergesetzes.

Staatsanwaltschaft Wien,
am 31. Juli 1945.




Dr. Eugen Prüfer
Für die Richtigkeit der Ausfertigung
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